Jetzt kommt es auf die Europäer an

Planen für den Ernstfall

Monatelang haben die Europäer einen bisweilen bizarren, diplomatischen Tanz aufgeführt: Mit Schmeicheleien, nicht selten an der Grenze zur Selbstverleugnung, sowie mit politischen und finanziellen Zugeständnissen haben sie versucht, den US-Präsidenten bei Laune zu halten (mehr dazu hier ). Zwischenzeitlich hatten sie damit Erfolg, nun jedoch müssen sie abermals fürchten, dass sich ihre schlimmste Befürchtung bewahrheitet: Donald Trump könnte die Ukraine an Russlands Machthaber Wladimir Putin verraten – und Europa gleich mit.

Bis Donnerstag hat Trump seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj zunächst Zeit gegeben, einem 28-Punkte-Papier zur Beendigung des Kriegs mit Russland zuzustimmen. Die Regierung in Washington nennt es einen »Friedensplan«, in Wahrheit handelt es sich um einen Aufruf zur Kapitulation. Die Ukraine soll unter anderem ihre Armee verkleinern und den Donbass den Russen kampflos überlassen. Die Europäer haben am Wochenende das einzig Richtige getan und den Plan in seiner bisherigen Form abgelehnt.

Sie drängen jetzt darauf, dass die US-Regierung das Papier noch einmal umschreibt, und haben ihrerseits einen Gegenvorschlag erarbeitet (mehr dazu hier ). Gestern kamen europäische und ukrainische Regierungsvertreter mit einer US-Delegation um Außenminister Marco Rubio und dem Sondergesandten Steve Witkoff in Genf zusammen. Rubio lobte die Atmosphäre bei den Gesprächen, einen Durchbruch haben die Verhandler allerdings noch nicht erzielt (mehr dazu hier). In der Nacht erklärten die USA und die Ukraine dann, sich auf einen überarbeiteten Friedensplan geeinigt zu haben (hier mehr). Inhaltliche Details dazu sind nicht bekannt.

Die Europäer sollten sich trotz allem darauf vorbereiten, dass Trump sämtliche Hilfen für Kyjiw abrupt einstellen könnte. Sie brauchen einen Plan, wie sie die Ukrainer so unterstützen, dass sie sich weiter gegen Russland verteidigen können. Die Europäer haben zuletzt oft davon gesprochen, dass sie sich im Ernstfall auch ohne Hilfe der Amerikaner gegen einen Aggressor wie Russland wehren müssen. Nun könnte dieser Ernstfall schneller eintreten als erwartet.

  • Mehr Hintergründe hier: Ein Friedensplan voller Fragezeichen – und ein euphorischer Marco Rubio 

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  • Jetzt soll Europa für Trumps Probleme büßen: Der US-Präsident möchte seinen 28-Punkte-Friedensplan für die Ukraine mit der Brechstange durchsetzen, weil er innenpolitisch unter Druck steht. Die Europäer dürfen dabei nicht mitspielen. 

Zukunftskontinent Afrika

Friedrich Merz hat die erste Hälfte seiner Afrikareise abgeschlossen. Er hat, nach allem, was man weiß, auf dem G20-Treffen in Johannesburg, anders als gerade erst in Brasilien, zumindest niemanden beleidigt (mehr dazu hier ). Heute geht es für ihn weiter mit dem EU-Afrika-Gipfel in Luanda. Neben Merz werden unter anderem EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa in der Hauptstadt Angolas erwartet.

Die Europäer haben Afrika lange Zeit als einen Krisenherd wahrgenommen, als ein Schreckensgespenst voller potenzieller Migranten (mehr dazu hier) . Mit der Wirklichkeit hat das nur bedingt zu tun. Zwar bestimmen Katastrophen und Kriege, wie gerade im Sudan, nach wie vor häufig die Nachrichten. Doch viele Afrikanerinnen und Afrikaner schreiben Erfolgsgeschichten, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit im Westen.

Länder wie Angola, Ghana oder Kenia wollen ihren Ruf als Entwicklungshilfeempfänger ein für alle Mal loswerden, ihre Bevölkerungen sind jung, dynamisch, der Welt zugewandt. Rohstoffe aus Afrika – Öl, Gas, Lithium, Kobalt – werden immer wichtiger. Staats- und Unternehmenschefs stehen im Senegal, im Kongo, in Namibia Schlange. Es sind dabei eher selten Europäer, die zum Zug kommen. Stattdessen haben Chinesen und Russen unter anderem durch Infrastrukturprojekte ihren Einfluss in Afrika systematisch ausgebaut. Wenn Merz und seine Amtskollegen nun nach Angola reisen, dann auch, um den Anschluss nicht zu verlieren. Es kann nur sein, dass sie zu spät kommen.

  • Mehr Hintergründe hier: Der Rest der Welt? Irgendwie auch egal 

»Wahlen«

Sie können es nicht lassen. Egal, wie autoritär Machthaber regieren, egal, wie sehr sie ihr Volk unterdrücken, an die Wahlurnen bitten sie es dann doch fast immer. So ist es in Russland unter Putin, in der Türkei unter Erdoğan, in Indien unter Modi. Und so ist es auch in Ägypten.

Die Ägypterinnen und Ägypter wählen heute in zweiter Runde ein neues Parlament. Es dürfte bis Dezember dauern, ehe die Stimmen offiziell ausgezählt sind, das Ergebnis aber steht jetzt schon fest: Niemand zweifelt daran, dass Unterstützer des Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi das Repräsentantenhaus weiter dominieren werden. Sisi hat Ägypten in eine Diktatur umgebaut, nachdem er sich 2013 mithilfe des Militärs gewaltsam an die Macht geputscht hatte. Er herrscht heute noch repressiver, als sein Vorvorgänger Hosni Mubarak es vor dem Arabischen Frühling getan hatte. Institutionen hat er ausgehöhlt, Oppositionelle wurden weggesperrt. Fast 200 Kandidaten sollen allein von dieser Parlamentswahl ausgeschlossen worden sein (mehr dazu hier).

Das Regime in Kairo inszeniert die Wahl nicht zuletzt, um im Ausland behaupten zu können, dass es sich bei Ägypten um eine Demokratie handelt. Jeder weiß um diese Farce. Und doch spielen alle mit, auch die Europäer, die mit Sisi unter anderem in der Migrationspolitik zusammenarbeiten.

  • Mehr Hintergründe hier: Trumps »Lieblingsdiktator« lässt sich sein Parlament wählen

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Gewinnerin des Tages…

…ist Christine Herntier, Bürgermeisterin der Stadt Spremberg in der Lausitz. Im Sommer hatte sie in einem Brandbrief im Amtsblatt vor dem wachsenden Einfluss von Rechtsextremisten in ihrem Ort gewarnt. Für ihren Mut hatte sie bundesweit Anerkennung erfahren, wurde jedoch auch von Rechten angefeindet und bedroht. Nun verleihen ihr die Jüdische Gemeinde in Berlin und der Förderkreis des »Denkmals für die ermordeten Juden Europas« den Preis für Zivilcourage.

  • Mehr Hintergründe hier: Und plötzlich sind da schon wieder Hakenkreuze 

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Verband der Familienunternehmer gibt Brandmauer zur AfD auf: Der Lobbyverband »Die Familienunternehmer« hat einen AfD-Vertreter eingeladen – und will die in großen Teilen rechtsextreme Partei nun politisch stellen. Ein »Kontaktverbot« sei damit aufgehoben, berichtet die Verbandschefin.

  • Schmuggelballons legen Flugverkehr in Litauens Hauptstadt lahm: Diese Zigarettenlieferungen kommen in Litauen gar nicht gut an: Schmuggler aus Belarus haben erneut mit Ballons den Luftraum des baltischen Staates gestört. Starts und Landungen in Vilnius wurden gestrichen.

  • Schuss auf Zwölfjährige – Polizei hat keine Bodycam-Aufnahmen von dem Einsatz: In Bochum wurde eine gehörlose Zwölfjährige von einem Polizeischuss getroffen und lebensbedrohlich verletzt. Viele Fragen sind noch offen. NRW-Innenminister Reul erklärt nun, warum keine Bodycams angeschaltet waren.

Heute bei SPIEGEL Extra: »Die Zeit heilt alle Wunden?« Verkneifen Sie sich’s!

Wenn Kollegen trauern, fällt es oft schwer, die richtigen Worte zu finden. Es ist in Ordnung, unsicher zu sein, sagt die Trauerbegleiterin Petra Sutor. Welche Gesten helfen, wenn Worte fehlen .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Maximilian Popp, stellvertretender Ressortleiter Ausland

Politiker Selenskyj (l.), Trump: Bizarrer, diplomatischer Tanz

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Julia Demaree Nikhinson / AP / dpa

Merz bei seiner Ankunft in Südafrika: Es sind eher selten Europäer, die zum Zug kommen

Foto: Michael Kappeler / dpa

Machthaber Sisi: Ägypten in eine Diktatur umgebaut

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Bürgermeisterin Herntier (2020): Brandbrief gegen Rechtsextremismus

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Soeren Stache / dpa-Zentralbild / dpa

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Maskot / DEEPOL / plainpicture

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