Was ist passiert?
Ein schweres Erdbeben der Stärke 8,8 hat die Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands erschüttert. Das Ereignis hat im Pazifikraum zahlreiche Länder von Japan und den Philippinen über Hawaii bis zur US-Westküste und Lateinamerika in Alarmzustand versetzt. Gewarnt wurde vor teils meterhohen Tsunami-Wellen als Folge des Bebens. Mittlerweile wurden die Warnungen in zahlreichen Regionen der Welt wieder aufgehoben.
Aur der Halbinsel Kamtschatka hat das Zivilschutzministerium die Tsunamiwarnung wieder aufgehoben. Auf Kamtschatka habe es keine bedeutenden Wellen gegeben, teilte das Ministerium in seinem Telegram-Kanal mit. Zuvor hatte der Verwaltungschef im Kreis Sewero-Kurilsk auf der Insel Paramuschir, Alexander Owsjannikow, mitgeteilt, es habe vier Tsunamiwellen gegeben. Das Wasser drang demnach 200 Meter ins Landesinnere ein. Die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete unter Berufung auf Einsatzkräfte, dass die größte Welle bis zu fünf Meter hoch gewesen sei.
Vor Japans Küste sind mehr als einen Meter hohe Flutwellen verzeichnet worden. Wie die japanische Wetterbehörde mitteilte, erreichte ein Tsunami mit einer Höhe von 1,3 Metern einen Hafen in Japans nördlicher Präfektur Miyagi. Auf der Flucht vor dem Tsunami stürzte zudem eine Frau mit ihrem Auto von einer Klippe und kam ums Leben. Die Tsunamiwarnung wurde inzwischen von der meteorologischen Behörde auf die unterste Stufe herabgesenkt, wie der Fernsehsender NHK meldete.
Im US-Bundesstaat Hawaii hob der Zivilschutz am Mittwoch die Evakuierungsanordnung für flutgefährdete Küstengebiete auf. Zugleich rief die Behörde die betroffenen Bewohner im Onlinedienst X auf, bei ihrer Rückkehr vorsichtig zu sein und auf mögliche Schäden zu achten. Zuvor hatte das Pazifik-Warnzentrum seine anfängliche Warnung auf einen einfachen Hinweis herabgestuft und erklärt, die durch das Erdbeben erzeugten Wellen stellten keine Gefahr mehr dar.
Indonesien meldete kleinere Tsunamiwellen. Laut der indonesischen Behörde für Meteorologie, Klimatologie und Geophysik (BMKG) erreichten sie aber eine Höhe von maximal 0,2 Metern. Zuvor hatten Tsunamiwarnungen für mehrere östliche Provinzen wie etwa Nordsulawesi gegolten. In besonders gefährdeten Küstenregionen wurden vorsorglich Schulen geschlossen und Evakuierungen eingeleitet.
Die Philippinen haben ihre Warnung vor einem möglichen Tsunami aufgehoben. Basierend auf den verfügbaren Daten der Meeresüberwachungsstationen seien keine signifikanten Meeresschwankungen oder zerstörerischen Tsunamiwellen registriert worden, teilte das örtliche Institut für Vulkanologie und Seismologie (Phivolcs) mit.
In Französisch-Polynesien haben die Behörden eine Tsunamiwarnung für den Archipel der Marquesas-Inseln herausgegeben. Es würden Wellen von 1,10 bis vier Meter Höhe erwartet, die die Inseln Ua Huka, Nuku Hiva und Hiva erreichen.
Auch in Neuseeland warnen die Behörden vor starken Strömungen und unvorhersehbaren Wellenbewegungen. Die Warnung gelte für sämtliche Küstenregionen, teilte die neuseeländische Katastrophenschutzbehörde Nema mit. »Starke Strömungen und plötzliche Wasserbewegungen können Menschen verletzen oder sogar in Lebensgefahr bringen«, hieß es.
Wie schwer war das Erdbeben?
»Das heutige Erdbeben, das sich vor der Halbinsel Kamtschatka ereignet hat, war ein Beben großer Stärke«, sagte Caroline Orchiston von der University of Otago in Neuseeland dem Science Media Center. Das Beben entstand, weil vor Kamtschatka Erdplatten aufeinandertreffen: Die Pazifische Platte taucht an der Stelle unter die Ochotskische Platte, die Ostsibirien und die Halbinsel Kamtschatka bildet.
Das geschieht sehr langsam, pro Jahr bewegt sich die Pazifische Platte nur um etwa 7,5 Zentimeter. Dennoch können dadurch große Spannungen entstehen, die in Erdbeben münden. Weil das aktuelle Beben unter Wasser stattfand, bildete sich ein Tsunami – eine Serie von Riesenwellen, die entstehen, wenn große Mengen Wasser verdrängt werden.
Mit einer gemessenen Stärke von 8,8 war das Beben laut der US-Erdbebenwarte USGS das weltweit stärkste seit der Katastrophe von Fukushima im März 2011.
»Angesichts der Größe und des Ortes des Erdbebens sowie vorläufiger seismologischer Beobachtungen ist es wahrscheinlich, dass es zu einer Verschiebung von mehr als zehn Metern über eine Fläche von etwa 150 Kilometern mal 400 Kilometern gekommen ist«, sagte Geophysiker John Townend von der Victoria University of Wellington in Neuseeland dem Science Media Center. Weitere Untersuchungen müssten dies jedoch noch bestätigen.
Gibt es weitere Beben?
Das Tückische an Erdbeben ist, dass sie sich nur schwer vorhersagen lassen und es häufig zu Nachbeben kommt. Laut dem GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung ist das aktuelle Beben das bislang stärkste einer ganzen Serie, die vor zehn Tagen begann.
So hatte es bereits am 20. Juli in derselben Region Russlands ein Erdbeben der Stärke 7,4 gegeben, gefolgt von mehreren Beben mit Magnituden über 6 am selben Tag. Dabei kam es zu keinen größeren Schäden.
Die Fachleute des GFZ rechnen mit weiteren Nachbeben, die Magnituden über 6 erreichen können, teilte das Forschungszentrum dem SPIEGEL mit. Demnach war die Erschütterung durch das Erdbeben auch in Deutschland nachweisbar. »Die Erdbebenwellen wurden an der GEOFON-Station des GFZ in Rüdersdorf aufgezeichnet«, hieß es vom GFZ. »Dort bewegte sich der Boden um rund sechs Millimeter.« Rüdersdorf liegt in Brandenburg.
Gab es weitere Ereignisse in der Region?
Nach dem schweren Erdbeben ist der Vulkan Kljutschewskoi auf der russischen Halbinsel ausgebrochen. »An der Westflanke fließt glühend heiße Lava herab. Über dem Vulkan ist ein starkes Leuchten zu sehen, begleitet von Explosionen«, teilte der geophysikalische Dienst der Russischen Akademie der Wissenschaften am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit. Weitere Details wurden zunächst nicht genannt. Der Kljutschewskoi ist der aktivste Vulkan auf Kamtschatka und zugleich mit 4750 Metern einer der höchsten der Welt. Der Berg liegt etwa 400 Kilometer nördlich der Regionalhauptstadt Petropawlowsk-Kamtschatski. Er gilt als der höchste aktive Vulkan Eurasiens und gehört zum Pazifischen Feuerring.