Danilo Yavhushyshyn ist der erste Ukrainer, der ein Sumo-Turnier auf Elite-Level gewonnen hat. Das ist die eine Nachricht. Die andere: Er ist in Sicherheit.
Als Russland vor dreieinhalb Jahren den Krieg über sein Heimatland brachte, floh der junge Mann nach Japan, seine Eltern nach Deutschland. Durch einen befreundeten Ringer, den er 2019 bei einem Turnier kennengelernt hatte, fand er Unterschlupf bei der Familie Yamanaka in Kobe.
Mittlerweile hat er ein neues Leben, fernab von Drohnen und Todesgefahr, und einen neuen Namen: Als Aonishiki Arata mischt der 21-Jährige die japanische Sumo-Szene auf. Und steht spätestens seit seinem Sieg beim hochklassig besetzten Turnier auf der Insel Kyushu am vergangenen Wochenende sinnbildlich für eine Entwicklung, die womöglich die Zukunft seines Sports entscheidet.
Sumo versteht sich als urjapanischer Sport, dessen Wurzeln bis ins achte Jahrhundert zurückreichen. Japan ist ein Land des Brauchtums, dem die Zukunft durch die Hände rinnt.
Japan mit Nachwuchssorgen
Seit neun Jahren sinken die Geburtenzahlen, 2024 kamen so wenige Babys wie noch nie zur Welt. In Japan sterben doppelt so viele Menschen, wie Kinder geboren werden. Der Nachwuchs fehlt überall, auch in den traditionellen Sumo-Schulen, die sich nach wie vor in Abschottung üben.
Nur ein Ausländer darf pro Schule ausgebildet werden, viele Schulen weigern sich weiterhin, überhaupt Nichtjapaner aufzunehmen. Im vergangenen Jahr gab es gerade einmal vier europäische Sumo-Profis in Japan.
Yavhushyshyn, mit 125 Kilogramm ein Leichtgewicht unter seinen Konkurrenten, hat nur durch sein Talent und Fürsprache seines Umfelds vor Ort einen Platz im Ajigawa-Stall erhalten. Hier trainiert er nun fünf Stunden täglich, lebt und isst mit seinen Mitkämpfern. Kulturelle Rücksichtnahme für den Kämpfer von außen gibt es nicht. Wer dabei sein will, muss sich anpassen.
Der junge Ukrainer spricht mittlerweile fließend Japanisch. Und bietet dem darbenden Sport Lösungen. Erst vor Kurzem kehrte Sumo nach Jahrzehnten zu einem viel beachteten Turnier nach London zurück, jetzt sollen ausländische Kämpfer wie er für das Spektakel sorgen, das die japanischen Kämpfer allein nicht mehr bieten können.
Zwar ist da der neue Star, Ōnosato Daiki, Kampfname Onosato. Er ist der erste in Japan geborene Champion seit fast einer Dekade. Doch um ihn herum tummeln sich in der ersten Reihe Kämpfer, die außerhalb Japans geboren wurden.
»Das blaue Juwel« auf dem Weg nach oben
So auch Hoshoryu, den Yavhushyshyn bei seinem beeindruckenden Erfolg im Finale bezwang. Der 26-Jährige stammt aus der Mongolei. Ein Land mit langer Ringertradition, ähnlich wie die Ukraine – Yavhushyshyns Heimat –, zu der er eine komplizierte Beziehung hat.
Auf Pressekonferenzen äußert er sich fast ausschließlich zu sportlichen Belangen. »Mein Land befindet sich in einer sehr schwierigen Lage, aber ich bin Sumo-Ringer, daher möchte ich über Sumo sprechen. Ich hoffe, dass die Menschen in der Ukraine mein Sumo sehen und dadurch etwas Mut schöpfen können.«
Währenddessen arbeitet er weiter an seinem sportlichen Erfolg. Die Japanische Sumo-Vereinigung wird in Kürze eine Sondersitzung abhalten, um ihn zum »Ozeki« zu befördern, dem zweithöchsten Rang unter dem »Yokozuna« oder Großmeister, wie der nationale Fernsehsender NHK mitteilte.
Für Yavhushyshyn ist das nur eine Zwischenstation: »Ich bin jetzt glücklich, aber es gibt noch einen höheren Status«, sagt der Ringer, dessen japanischer Kampfname eine Hommage an die ukrainische Flagge ist: »Das blaue Juwel« will in einem Sport funkeln, der nicht für Ausländer vorgesehen war, dem er aber Neues geben kann.
Schrumpfen oder wandeln
Im Ajigawa‑Stall wird betont, dass er nicht nur auf rohe Kraft setzt, sondern aktiv an Griffwechseln, Fußarbeit und Kontertechniken arbeitet, was ihn schwer berechenbar macht.
Japanische Beobachter sehen in ihm deshalb den Prototyp eines modernen »Hybrid‑Sumotori« aus Europa: physisch imposant, aber mit einem Stil, der eher an technisch versierte Mongolen als an klassische europäische Kraftpakete erinnert.
Der jahrhundertealte Sumo-Sport muss sich entscheiden: In starrer Tradition schrumpfen oder mit mehr Kämpfern aus dem Ausland wie Yavhushyshyn einen neuen Weg in die Zukunft finden. Der die Tradition am Ende überleben lässt.
Danilo Yavhushyshyn mit Trophäe
Foto: AFPDanilo Yavhushyshyn (r.) bei seinem Sieg gegen Hoshoryu
Foto: AFPKampfszene mit Yavhushyshyn (l.)
Foto: AFP