Das »noch härtere militärische Vorgehen« der israelischen Armee im Gazastreifen lasse immer schwerer erkennen, wie Israel Geiseln befreien, einen Waffenstillstand erzielen und die Hamas stoppen wolle. So erklärte es Bundeskanzler Friedrich Merz an diesem Freitag. Und dann: »Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können.«
Praktisch verändert diese Ankündigung womöglich weniger, als es zunächst scheinen mag. Doch es ist eine symbolische Abkehr, die Wellen schlägt. Noch im Juni erklärte der Bundeskanzler, Israel erledige im Nahen Osten die »Drecksarbeit«. Gemeint waren damals die israelischen Angriffe auf Iran. Doch dass dieses Vorgehen damals so verteidigt wurde und sich Merz nun deutlich von Israel distanziert – in der Union scheint das vielen zu viel.
Die Junge Union schrieb auf Instagram: »Staatsräson abgehakt? Ein Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik.«
Und JU-Chef Johannes Winkel erklärte geradezu sarkastisch bei X: »Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.«
Auch aus der CSU gab es Kritik. Ohne sich namentlich zitieren zu lassen, erklärten Parteivertreter via »Bild«, man habe sie nicht wirklich einbezogen in die Berliner Entscheidung. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger (CSU) schrieb auf X: »Israels Sicherheit gegenüber seinen zahlreichen gefährlichen Feinden wird dadurch sicher nicht verbessert.«
»Gnadenlose Hamas-Propaganda«
Der Chef der CSU-Landtagsfraktion im bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, schrieb ebenfalls auf X: »Ich halte diese Entscheidung für falsch. Den Krieg begonnen hat ganz klar die Hamas mit dem Überfall auf #Israel am 7. Oktober 2023 und dem beispiellosen Morden Tausender unschuldiger Menschen. Gerade in herausfordernden Zeiten müssen wir zu unseren Freunden stehen. Israels Sicherheit ist und bleibt für uns Staatsräson.«
Auch in der CDU selbst distanzierten sich Parteifreunde von der Entscheidung des Kanzlers. CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter schrieb, ebenfalls auf X, die Aussetzung von Waffenlieferungen an Israel halte er für einen schweren politischen und strategischen Fehler. Einem Freund wie Israel müsse man zutrauen, das Völkerrecht einzuhalten. »Stattdessen beugt man sich einem antisemitischen Mob der Straße, der jüdisches Leben auch in Deutschland bedroht und man beugt sich der kognitiven Kriegsführung einer gnadenlosen Hamas-Propaganda.«
Unterstützung kam unterdessen von SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil und Vertretern anderer Parteien, die teils noch weitergehende Schritte forderten.
Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt verteidigte ebenfalls die Entscheidung. »Diese Reaktion war unausweichlich, nachdem der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister unsere Bedenken über Monate in hoher Frequenz vortrugen«, sagte Hardt. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der »Rheinischen Post«: »Diese Reaktion ist richtig und durch die jüngsten Entscheidungen der israelischen Regierung leider unausweichlich geworden.«
Telefonat von Merz mit Netanyahu
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Thomas Röwekamp (CDU), betonte, die Bundesregierung teile das Ziel, den Gazastreifen unter israelische Kontrolle zu stellen, nicht. »Und deswegen werden wir dazu auch keine militärische Hilfe leisten«, sagte er dem Sender Welt-TV. Eine entscheidende militärische Schwächung Israels sieht Röwekamp nicht. »Wir leisten ja sowieso nur einen sehr geringen Beitrag zu den israelischen militärischen Fähigkeiten. Das Land ist, was seine Armee betrifft, sehr gut selbst aufgestellt.«
Merz scheint sich unterdessen der Tragweite seiner Entscheidung bewusst. Wie aus Regierungskreisen verlautete, telefonierte der Kanzler am späten Freitagnachmittag mit Israels Premier Benjamin Netanyahu, um ihm die Entscheidung der Bundesregierung zu erläutern. Demnach betonte er, sein Entschluss sei eine Reaktion auf die Eskalation des Kriegs in Gaza. Merz habe versichert, dass sich an der prinzipiellen Unterstützung Deutschlands für Israel nichts ändere. Das Telefonat mit Israels Premierminister war nach Angaben aus Regierungskreisen eigentlich für Donnerstag vorgesehen gewesen, sei aber aus Termingründen nicht zustande gekommen.
Netanyahus Büro kritisierte anschließend die deutsche Entscheidung öffentlich in einer Stellungnahme. Anstatt Israel zu unterstützen, belohne Deutschland die Hamas nach den schlimmsten Angriffen auf Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust. Israels Ziel sei keine Übernahme, sondern die Befreiung des Gazastreifens.
Bundeskanzler Friedrich Merz: »Keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können«
Foto: Clemens Bilan / EPAStreit über den Krieg in Gaza: »Diese Reaktion war unausweichlich«
Foto: Bashar Taleb / AFP