Klingbeil unterstützt den Lieferstopp, Deutsch-Israelische Gesellschaft kritisiert ihn scharf

Deutschland werde »bis auf Weiteres« keine Exporte von militärischer Ausrüstung genehmigen, die in Gaza eingesetzt werden könnte, kündigte Friedrich Merz am Freitag an. Der Bundeskanzler reagiert damit auf die Entscheidung des Kabinetts von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, Gaza-Stadt einzunehmen. Die deutsche Regierung haderte lange Zeit damit, sich der härteren Linie anzuschließen, wie sie einige europäische Verbündete ergriffen hatten, und galt als einer der stärksten internationalen Unterstützer Israels.

Der Koalitionspartner SPD unterstützt die Entscheidung. »Die Bundesregierung wird unter den aktuellen Umständen keine Lieferungen von Waffen, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können, genehmigen. Das ist eine richtige Entscheidung«, sagte SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil. Dem Staat Israel gelte die volle Solidarität, aber Falsches müsse benannt werden.

DIG beklagt Punktsieg der Hamas

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung dagegen als »Punktsieg der Hamas im globalen Propagandakrieg«. Die Entwaffnung der Hamas sei unerlässlich, die Bundesregierung habe keinen Vorschlag, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Organisation hebt hervor, dass Netanyahu klargestellt habe, dass es sich nicht um eine Annexion des gesamten Gazastreifens handelt. Sie warnt davor, dass die israelische Regierung sich revanchieren und Rüstungslieferungen nach Deutschland einstellen könnte. Dann sei es schlecht bestellt um »die Zukunft der deutschen Luftsicherheit«.

Röttgen spricht von unausweichlicher Entscheidung

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen begrüßte dagegen die Entscheidung der Bundesregierung. »Diese Reaktion ist richtig und durch die jüngsten Entscheidungen der israelischen Regierung leider unausweichlich geworden«, sagte Röttgen der »Rheinischen Post«. Es sei nicht mehr eindeutig nachvollziehbar, welche Kriegsziele Israel mit der Ausweitung der Offensive verfolge.

Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan sagte dem SPIEGEL, dass sie die Aussetzung der Waffenlieferungen unterstütze. »Gerade jetzt müssen wir jede Chance auf eine Zweistaatenlösung wahren«, sagte sie. Beim Wiederaufbau in Gaza werde Deutschland Verantwortung übernehmen – als Mitausrichter einer internationalen Wiederaufbaukonferenz, so Alabali Radovan.

Linkenchefin Ines Schwerdtner bezeichnete den Schritt der Bundesregierung gegenüber dem SPIEGEL als »längst überfällig, auch wenn er nicht ausreichend« sei. »Deutschland darf keine Waffen mehr liefern, die in einem Krieg eingesetzt werden, der jeden Tag mehr zivile Opfer fordert«, so Schwerdtner. Zudem forderte sie, dass Merz Palästina als Staat anerkennen sollte. »Die Mehrheit der Bürger in Deutschland unterstützt das als Zeichen für einen Friedensprozess«, sagte sie.

Grüne Dröge: Richtig, hätte aber früher geschehen müssen

Die Reaktion der Co-Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, fiel gemischt aus. Auf X lobte sie zunächst die Entscheidung. Die sei »richtig«. Sie fügte indes hinzu, Kanzler Merz habe »lange, zu lange gezögert«. Er hätte angesichts der »absolut katastrophalen Lage in Gaza früher handeln müssen«. Nun sei es überfällig, dass die Regierung diesen Schritt gehe, so die Grüne.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Till Steffen schrieb auf X, dies sei »ein wichtiger Schritt« der Bundesregierung. Der frühere Hamburger Justizsenator forderte aber darüber hinaus, die Bundesregierung solle »Sanktionen gegen die rechtsextremen Minister Smotrich und Ben-Gvir umsetzen«. Beide riefen offen zu Gewalt gegen die palästinensische Zivilbevölkerung auf.

Mitte Juli hatte Slowenien als erstes EU-Land den israelischen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich zu unerwünschten Personen erklärt. Als Persona non grata dürfen sie das Land nicht mehr besuchen. Beide hätten zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Gewalt an Palästinensern aufgerufen, begründete Sloweniens Außenministerin Tanja Fajon am 18. Juli die Maßnahme.

CSU-Politiker Holetschek: »Halte Entscheidung für falsch«

Es gab am Freitag aber auch Kritik aus der Union. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger (CSU) schrieb auf X: »Israels Sicherheit gegenüber seinen zahlreichen gefährlichen Feinden wird dadurch sicher nicht verbessert.«

Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, äußerte sich ebenfalls auf X. »Ich halte diese Entscheidung für falsch. Den Krieg begonnen hat ganz klar die Hamas mit dem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem beispiellosen Morden tausender unschuldiger Menschen«. Gerade in herausfordernden Zeiten müssten »wir zu unseren Freunden stehen«. Israels Sicherheit ist und bleibe »für uns Staatsräson«, so der frühere bayerische Gesundheitsminister.

Die Junge Union kritisierte die Ankündigung von Bundeskanzler Merz. Auf Instagram schrieb der Nachwuchsverband: »Staatsräson abgehakt? Ein Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik.«

Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, schrieb ebenfalls auf X: »Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.« Er bezog sich auf eine Aussage von Merz, nach der Israel in Iran die »Drecksarbeit für uns alle« verrichte.

FDP-Chef Dürr: »Schwerer Fehler«

Aus der FDP, seit der Wahl im Februar nicht mehr im Bundestag, kam ebenfalls Kritik an der Entscheidung von Merz. Ihr neuer Parteichef Christian Dürr, in der vergangenen Ampelkoalition noch Fraktionschef seiner Partei im Bundestag, schrieb auf X, Merz begehe »einen schweren Fehler«. Netanyahus Pläne zur Einnahme von Gaza-Stadt gingen zwar deutlich zu weit, aber die Bundesregierung reagiere über. »Der Stopp von Waffenlieferungen ist falsch. Der Kanzler folgt der SPD – und das Kalkül der Hamas geht auf«, so der FDP-Chef.

Ähnlich äußerte sich die frühere Bildungsministerin in der Ampelkoalition, Bettina Stark-Watzinger. Sie nannte es eine »fatale Fehlentscheidung«. Israel sei eine Demokratie, Kritik und Diskurs über den Kampf gegen Terror würden dort geführt. »In Gaza gibt es nur die Diktatur der Hamas. Der Stopp der Waffenlieferungen ist eine Bestätigung für sie, keinem Waffenstillstand zuzustimmen«, schrieb die FDP-Politikerin auf X.

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