Menschen mit Adipositas können sich in Deutschland seit gut zwei Jahren Spritzen verschreiben lassen, um Gewicht zu verlieren. In Zukunft könnte es vergleichbare Präparate auch als Tablette geben. Nun hat der Pharmakonzern Eli Lilly vorläufige Studienergebnisse zu dem Wirkstoff Orforglipron veröffentlicht .
Demnach nahmen Probandinnen und Probanden durchschnittlich zwölf Prozent ihres Körpergewichts ab, wenn sie 36 Milligramm des Wirkstoffs über anderthalb Jahre täglich als Tablette einnahmen. Zum Vergleich: Die Abnehmspritzen sorgten laut Studien für einen Gewichtsverlust zwischen zehn und 20 Prozent.
Laut Fachleuten können dennoch weder die Tabletten noch die Abnehmspritzen herkömmliche Therapien wie Sport und eine angepasste Ernährung ersetzen, um Übergewicht zu bekämpfen.
Lieber Pille als Spritze
Orforglipron ist ein sogenannter GLP-1-Rezeptoragonist, der wie ein natürlich vorkommendes Hormon wirkt. Er reguliert den Blutzucker, macht schneller satt und zügelt den Appetit. Nach diesem Prinzip funktionieren ebenfalls die Abnehmspritzen, die bereits zugelassen sind. (Was über ihre Wirksamkeit und Nebenwirkungen mittlerweile bekannt ist, lesen Sie hier.)
Wie die Spritzen werden Abnehmtabletten sehr wahrscheinlich verschreibungspflichtig sein, sollten sie zugelassen werden. Fachleute rechnen damit, dass Menschen eher Pillen als Abnehmmittel wählen, weil es für viele angenehmer sein dürfte, eine Tablette zu schlucken, als sich zu spritzen.
Etwas weniger wirksam als Spritzen
Ein orales Medikament mit dem Wirkstoff Semaglutid, der auch in der Abnehmspritze Wegovy eingesetzt wird, ist bereits für die Therapie von Typ-2-Diabetes zugelassen. Eine Tablette gegen Adipositas gibt es bislang allerdings nicht.
Eli Lilly strebt eine Markteinführung noch in diesem Jahr an. Außer diesem Pharmakonzern arbeiten zahlreiche weitere Hersteller an ähnlichen Pillen zur Gewichtsabnahme.
Die aktuellen Ergebnisse stammen aus der sogenannten ATTAIN-1-Studie. Für diese schluckten gut 3000 Probanden über 72 Wochen hinweg jeden Tag eine Tablette, in der Hoffnung, abzunehmen. Allerdings bekam nur ein Teil der Probanden tatsächlich das Medikament in unterschiedlicher Dosierung, die übrigen erhielten eine Pille ohne Wirkstoff. Wer was bekam, wussten die Teilnehmenden nicht.
Anleger enttäuscht
Solche sogenannten doppelt verblindeten Studien mit Placebo-Kontrollgruppe gelten in der Medizin als Goldstandard, um die Wirksamkeit und Sicherheit neuer Präparate zu testen. Sie sind die Voraussetzung für eine Zulassung.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
Probanden, die den Wirkstoff in der höchsten Dosierung bekamen, nahmen mindestens zehn Prozent ihres Körpergewichts ab, fast 40 Prozent verloren mindestens 15 Prozent. Der durchschnittliche Gewichtsverlust lag bei mehr als zwölf Kilogramm.
Die Teilnehmer aus der Placebo-Gruppe verloren dagegen nur 0,9 Prozent ihres Gewichts. Was bei ihnen zu dem Gewichtsverlust geführt hat, ist unklar.
Die Nebenwirkungen sind mit denen der Abnehmspritzen vergleichbar. Häufig waren etwa Übelkeit, Verstopfung, Durchfall, Erbrechen.
»Damit liegt die Gewichtsabnahme nur unwesentlich unter der von Semaglutid, das wöchentlich injiziert werden muss. Auch in den Nebenwirkungen unterscheiden sich die beiden Präparate nicht wesentlich«, sagte Diabetologe Stephan Martin vom Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf dem Science Media Center.
Anleger reagierten offenbar enttäuscht auf die etwas geringere Wirksamkeit von Orforglipron im Vergleich zu den Abnehmspritzen. Die Aktie von Eli Lilly gab am Donnerstag im vorbörslichen Handel um knapp elf Prozent nach.
Allerdings sind die Ergebnisse bisher nicht in einem Fachartikel veröffentlicht worden, auch eine Prüfung durch unabhängige Forschende steht aus.
Wie viel die Abnehmpillen kosten werden, sollten sie auf den Markt kommen, ist unklar. Eine Therapie mit den Abnehmspritzen kostet derzeit je nach Dosierung und Produkt um die 300 bis 500 Euro im Monat. Da Tabletten günstiger herzustellen sind, rechnen Fachleute damit, dass Pillen mit Orforglipron billiger sein werden.
Dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Abnehmpillen übernehmen werden, hält Katrin Gebauer vom Universitätsklinikum Göttingen dennoch für unwahrscheinlich: »Hier sind präventive Maßnahmen eine sehr viel sinnvollere Investition als die Kostenerstattung eines Medikaments«, sagte sie dem Science Media Center. »Dazu gehören zum Beispiel die Stärkung von Gesundheitskompetenz in allen Bevölkerungsschichten, der Zugang zu gesunden Lebensmitteln und die Förderung des gesunden Lebensstils.«
Zudem hätten die Tabletten wahrscheinlich ähnliche Nachteile wie Abnehmspritzen, sagte Mediziner Martin: »Von Semaglutid wissen wir, dass ein Absetzen zu einem Jo-Jo-Effekt führt und neben der Fettmasse auch die Muskelmasse abnimmt«. Ähnlich werde es wahrscheinlich auch bei den Abnehmpillen sein. Wer sie absetzt, nimmt wahrscheinlich zu. Dann vor allem Fett, so Martin.